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Mein Wort Reich

"Nicht Worte sollen wir lesen, sondern den Menschen, den wir hinter den Worten fühlen." ( Samuel Butler)

 

 

Judasküsse

August 23, 2014 5612hits

Ein wahrer Freund ersticht dich von vorne.
Oscar Wilde (1854 - 1900)

Monika Penczerzinski war meine erste und allerbeste Freundin. Sie war zart, klein und hatte dunkles Haar. In der Schule waren wir unzertrennlich. In meinem Poesiealbum hinterließ sie mir das Versprechen ewiger Freundschaft. Doch denke ich heute an diese Zeit zurück, kann ich mich an gar nichts erinnern. Außer daran, dass wir beste Freundinnen waren. Wir verloren uns einfach aus den Augen.
 
Seitdem war mein bisheriges Leben eine Aneinanderreihung von Begegnungen. Flüchtige Momente. Intensive Beziehungen. Belangloses Geplänkel. Freundschaftliche Kollegialität. Prägende Erfahrungen. Überflüssige Bekanntschaften. Vertrauensvolle Partnerschaften. Leidenschaftliche Schwärmereien. Und einige wenige Freundschaften.

Ob mir ein Mensch sympathisch ist, entscheidet mein Bauch. Er hat eine Eins in Chemie, auf ihn kann ich mich verlassen. Dennoch ist es nicht so, als gäbe er mir unentwegt Zeichen. Was wohl daran liegt, dass ich nicht auf der Suche bin. Ich war noch nie ein Menschensammler, aber es gibt Menschen, die ich sehr gern kennen lerne. Auch näher. Wenn ich jemanden mag, kann dieser Mensch so gut wie alles von mir erwarten. Und auch bekommen.

 

Ich habe nur wenige Freunde. Manche sehe ich aufgrund großer Distanzen nur selten. Oder weil sie durch ihr eigenes, aber fremdbestimmtes Schicksal in ihrem Alltag gefangen sind und nur wenig Zeit für gemeinsame Stunden erübrigen können. Sie alle teilen mein Verständnis von Freundschaft und mit ihnen knüpfe ich bei unseren seltenen Begegnungen dort an, wo wir Wochen, Monate oder sogar Jahre vorher aufgehört hatten. Sie sind eben meine Freunde.

Doch Freundschaft scheint Auslegungssache zu sein. Irritierend. Aber vielleicht auch völlig normal, wobei man das differenzieren sollte. Zu meinem engeren Bekanntenkreis gehören glücklicherweise Menschen, die ich sehr gern mag. Das Miteinander inspiriert und die Gespräche sind alles andere als oberflächlich. Sie mögen mich und nehmen mich, wie ich bin. Ich liebe auch spontane Treffen mit ihnen, das gesellige Beisammensein bei gutem Essen und gutem Wein und den Austausch über all die Themen, die uns in Zeiten wie diesen bewegen.

Erst gestern saßen wir mit Freunden zusammen, die wir noch gar nicht lange kennen. Aber schon bei der ersten Begegnung spürte ich Sympathie und den Wunsch, sie wieder zu sehen, mehr über sie zu erfahren. Unsere Gespräche waren von Anfang an durch Offenheit, gegenseitiges Verständnis und auch Vertrauen geprägt. Gestern sprachen wir auch über Freundschaft. Über Erfahrungen, die wir vier in dieser Hinsicht gemacht hatten. Unsere Freunde spielten in diesem Austausch überhaupt keine Rolle. Es ging vielmehr um die "Freunde", die sich im Laufe der Zeit als Vampire, Deserteure oder Verräter entpuppten. Menschen, denen Vertrauen entgegengebracht worden war, das sie mißbraucht, ausgenutzt und mit Füßen getreten hatten. Was sie angeht, gebe ich meinem Bauch im Nachhinein eine glatte Sechs.

Die Vampire unter ihnen sind eine ganz besondere Spezies. Sie nehmen, was Du ihnen gibst. Und mehr. Sie saugen Dich aus, denken immer nur an sich und reagieren völlig erstaunt wenn Du sie irgendwann fragst, ob sie eigentlich gar nicht wissen wollen, wie es Dir dabei geht?

Und die Deserteure? Tja, die tauchen ohne erkennbaren Grund einfach ab. Verschwinden von der Bildfläche. Machen sich einfach unsichtbar. Im Zweifel wirst Du nie erfahren, warum? Denn selbst wenn Du nachfragst, stellen sie sich taub und stumm.

Verräter gehen da anders vor. Sie vermitteln Dir das Gefühl, ihnen blind vertrauen zu können. Eine Zeit lang glauben sie offensichtlich selbst daran, dass sie Dein bester Freund sind. Doch dann kommt ein Punkt, da wissen sie nicht weiter. Da sind sie völlig überfordert mit der Tatsache, dass Du vielleicht klüger bist als sie. Oder sie verstehen nicht, wieso Du offen Kritik an ihnen übst. Ihr Ego ist verletzt, durch ein falsches oder falsch verstandenes Wort - einfach in Fetzen gerissen. In diesem Moment vergessen Verräter alles, was war. Vergessen, dass Du über eine lange Zeit, manchmal viele Jahre lang, ein guter Freund warst. Ein Mensch, der ihnen zur Seite stand, immer da war, jederzeit und ohne Einschränkung. Jemand, auf den er sich immer verlassen konnte. Aber ihr angekratztes Ego ist ihnen wichtiger. Also schießen sie zurück, kränken Dich nicht nur mit einem Wort, sondern gleich mit vielen. Kippen Schuldzuweisungen und Selbstgerechtigkeit über Dir aus, wie sonst den Hausmüll. Danach sind sie völlig entkräftet und ziehen sich zurück. Betreiben Nabelschau. Warten ab. Und sind fassungslos, wenn da nichts mehr kommt.

Judas-Küsse. Ihr Geschmack ist bitter. Geradezu widerlich.